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Peter Handke

Lebensbeschreibung

1967

Zum Autor: Peter Handke wurde 1942 im österreichischen Bundesland Kärnten geboren. Nach dem Besuch Gymnasium studierte er Rechtswissenschaft (Jura) an der Universität Graz und begann seine schriftstellerische Arbeit. Handke wurde in den 60er Jahren durch sein provokatives Theaterstück "Publikumsbeschimpfung" (Insulting the Audience, 1966) bekannt. Er gehört heute zu den erfolgreichsten Autoren der Nachkriegsgeneration. Handke erhielt 1967 den Gerhart-Hauptmann-Preis für Literatur und 1973 den Georg-Büchner-Preis.

Zum Text: Der folgende Text stammt von Peter Handke, dem literarischen Wunderkind der Nachkriegsgeneration. Die erste Lesung des Textes wurde 1967 zur Sensation. Das sprachliche Format der Christus-Kurzbiographie erregte durch seine nüchterne und ironische Behandlung des Themas einen Skandal. Doch gerade das wollte Handke mit seiner Arbeit erreichen: "Ich erwarte von der Literatur ein Zerbrechen aller endgültig erscheinenden Weltbilder É"


Peter Handke, Lebensbeschreibung

 

Was nützt es dem Menschen,

wenn er an der Seele gewinnt,

an der Welt aber Schaden leidet?

 

Gott erblickte das Licht der Welt in der Nacht vom vierundzwanzigsten zum fünfundzwanzigsten Dezember.

Die Mutter Gottes wickelte Gott in Windeln. Auf einem Esel flüchtete er sodann nach Ägypten. Als seine Taten verjährt waren, kehrte er in sein Geburtsland zurück, weil er fand, daß dort der Ort sei, an welchem ein jeder am besten gedeihen könnte. Er wuchs im stillen und nahm zu an Alter und WohlgefallenÉ Er wurde die Freude seiner Eltern, die alles daransetzten, aus ihm einen ordentlichen Menschen zu machen.

So erlernte er nach einer kurzen Schulzeit das Zimmermannshandwerk. Dann, als seine Zeit gekommen war, legte er, sehr zum Verdruß seines Vaters, die Hände in den Schoß.

Er trat aus der Verborgenheit. Es hielt ihn nicht mehr in Nazareth. Er brach auf und verkündete, daß das Reich Gottes nahe sei.

Er wirkte auch Wunder.

Er sorgte für Unterhaltung bei Hochzeiten. Er trieb Teufel aus. Einen Schweinezüchter brachte er auf solche Art um sein Eigentum. In Jerusalem verhinderte er eines Tages im Tempel den geregelten Geldverkehr. Ohne das Versammlungsverbot zu beachten, sprach er unter freiem Himmel. Aus der Langeweile der Massen gewann er einigen Zulauf. Indes predigte er meist tauben Ohren.

Wie später die Anklage sagte, versuchte er das Volk gegen die Obrigkeit aufzuwiegeln, indem er ihm vorspiegelte, er sei der ersehnte Erlöser. Anderseits war Gott kein Unmensch. Er tat keiner Fliege etwas zuleide. Niemandem vermochte er auch nur ein Haar zu krümmen.

Er war nicht menschenscheu. Unbeschadet seines ein wenig großsprecherischen Wesens war er im Grunde harmlos.

Immerhin hielten einige Gott für besser als gar nichts. Die meisten jedoch erachteten ihn für so gut wie nichts.

Deshalb wurde ihm ein kurzer Prozeß gemacht. Er hatte zu seiner Verteidigung wenig vorzubringen. Wenn er sprach, sprach er nicht zur Sache. Im übrigen blieb er bei seiner Aussage, daß er der sei, der er sei. Meist aber schwieg er.

Am Karfreitag des Jahres dreißig oder neununddreißig nach der Zeitwende wurde er, in einem nicht ganz einwandfreien Verfahren, ans Kreuz gehenkt.

Er sagte noch sieben Worte.

Um drei Uhr am Nachmittag, bei sonnigem Wetter, gab er den Geist auf.

Zur gleichen Zeit wurde in Jerusalem ein Erdbeben von mittlerer Stärke verzeichnet. Es ereignete sich geringer Sachschaden.

 

Quelle: Peter Handke, Begrüßung des Aufsichtsrats. Salzburg: Residenz Verlag, 1967. Zitiert aus Rückblick. Texte und Bilder nach 1945. Hrsg. von Andreas Lixl-Purcell. Boston: Houghton Mifflin Company, 1995.

 


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