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Magda Andre, Ziegel

Brot und Shakespeare

1947

 

Zum Autor: Magda Andre war eine der ersten Frauen in Köln, die 1946 als Ziegelputzer Arbeit fanden. Andre war damals 42 Jahre alt und von Beruf Schauspielerin hatte aber diesen Beruf seit fünf Jahren nicht mehr ausgeübt. Weil sie dringend Geld brauchte, um sich und ihren 68 Jahre alten Vater zu versorgen, arbeitete sie mehrere Jahre lang als "Trümmerfrau" auf den Baustellen ihrer Heimatstadt.

Zum Text: Magda Andre erzählt aus der Perspektive einer "Trümmerfrau" über ihre Arbeit am Wiederaufbau Kölns. Die Trümmerfrauen sortierten kaputte und heile Ziegel, klopften die heilen Ziegel von Zementresten frei, sodaß die Ziegel beim Wiederaufbau verwendet werden konnten. Trotz großen Hungers und langer Arbeitsstunden vergaß Andre jedoch nicht ihre Liebe zum Theater. 1947 besuchte sie zum erstenmal wieder eine Shakespeare-Aufführung. Der Bericht beschreibt ihre Freude über den Neuanfang des kulturellen Lebens in der Stadt.


Magda Andre. Ziegel, Brot und Shakespeare. Köln 1947

 

Einmal gab es Karten für eine Shakespeare-Aufführung in der Universität, und ich wollte unter allen Umständen dahin. Ich stand morgens um vier auf und fuhr mit meinem Fahrrad von der Südstadt zum Kölner Dom, um eine Karte zu kaufen. Um sieben Uhr kam mich mein Vater ablösen, denn ich mußte doch auf den Bau zur Arbeit gehen.

Ich bin dann zur Baustelle gegangen, hab meinen Hammer in die Hand genommen und im Dreivierteltakt die Steine geklopft. Ich träumte von alten Theaterzeiten, von Beifall und Blumen und einfach wieder Normalität. Da ich ja noch nicht allzu lange auf dem Bau war, taten mir immer sehr schnell die Arme und der Rücken weh. Dann hatte ich Schwielen und Blasen an den Händen - also ich verkörperte in keiner Weise mehr die Frau, die ich früher war. Ich war jetzt eine von ihnen, den Trümmerfrauen, und zwar in allem. Ich war grau in grau, Hände wie Leder mit großen Rissen, und ich sprach und redete wie sie. Laut und manchmal sogar ordinär. Wie schnell hatte ich mich doch angepaßt. Nur mein Denken und zum Teil auch mein Fühlen, die Möglichkeit der sinnlichen Wahrnehmung, das war noch vorhanden. Ich meine die Fähigkeit, mich mit Dingen zu beschäftigen, die außerhalb unseres täglichen Lebens lagen. Weg vom Hunger, vom Hamstern, hin zur Musik und zu schönen Worten. Das war immer mein Wunsch. É

An diesem Tag war ich unheimlich glücklich, aus diesem Einerlei herausbrechen zu können. Ich habe dann noch unseren Vorarbeiter gefragt, ob ich ein wenig früher gehen könnte, und habe ihm auch gesagt, warum. Und da habe ich wieder gemerkt, wieviel Wärme diese sogenannten einfachen Menschen haben. Er hat mich sofort nach Hause geschickt und hat noch gefragt, was denn gespielt wird, und ich sagte: "Was Ihr wollt", und er: "Was zum Fressen!"

Um vier Uhr bin ich dann nach Hause geradelt, wie eine Wilde, und habe als erstes Wasser geholt und dann den Ofen angeschmissen, um das Wasser ein wenig warmzumachen. Es war schon halb sechs. In der Zwischenzeit habe ich mir was Passendes zum Anziehen rausgesucht. Ich hatte zum Glück noch ein schönes Kleid aus reiner Seide, nur, als ich es anprobierte, war es viel zu weit. Von meiner Schwägerin habe ich dann einen Gürtel bekommen, und um kurz nach sechs war ich fertig. Zum Glück fuhren die Straßenbahnen, so daß ich nur das letzte Stück Weg laufen mußte.

Es war toll. Von allen Seiten strömten die Menschen zur Uni, und alle waren in der gleichen aufgewühlten Stimmung wie ich. Im Foyer konnte man sogar ein Programmheft kaufen, und eine junge Frau verkaufte schon Schokolade, allerdings mit wenig Erfolg. Es war noch relativ früh, und ich habe mich schnell hingesetzt, um die Atmosphäre ganz auszukosten. Es war schon ein tolles Gefühl, sich vorzustellen, wie die Kollegen jetzt nervös in ihren Garderoben sitzen oder schon hinter der Bühne stehen und der Regissseur noch allen ein "toi, toi, toi" zuruft. Ich hätte alles darum gegeben, wenn ich jetzt da oben hätte stehen dürfen. Aber allein die Tatsache, hier zu sitzen, war schon einmalig. Kurz vor Beginn setzte sich eine junge Frau direkt hinter mich, und sie duftete nach Parfüm, wirklich echtem Parfüm. Ja, das war Theater! Die Vorstellung begann, und noch ehe ein Wort fiel, tobte das Publikum vor Begeisterung, vielleicht darüber, daß überhaupt wieder Theater gespielt wurde. Die Aufführung war auch wirklich gut, das Bühnenbild erstaunlich vielfältig, und schöne Kostüme. Aber nach zwei Stunden merkte ich, wie müde ich wurde. Doch ich hielt mich tapfer. Wie im Rausch bin ich zur Straßenbahn gegangen und dann auf dem Weg nach Hause im Stehen in der Straßenbahn eingeschlafen.

 

Quelle: Magda Andre, Köln 1947. In Gabriele Jenk, Steine gegen Brot. Trümmerfrauen schildern den Wiederaufbau in der Nachkriegszeit. Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe Verlag, 1988, S. 77-78.

 


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Letzte Bearbeitung: Mai 1997